Die Peyersche Tobias Stimmer-Stiftung des Museums zu Allerheiligen hat ihre Werke online zugänglich gemacht unter dem Link www.peyersche-tobias-stimmer-stiftung.ch. Ein Rundgang durch dieses virtuelle Museum kann nur empfohlen werden. Dabei begegnen wir auch Werken von Felix Lindtmayer dem Jüngeren (1523/1524 – 1574) und von seinem Sohn Daniel Lindtmayer (1552-1606/07).
Und hier die Geschichte zu den Bildern: Im selben Jahr 1544, in welchem Felix Lindtmayer d. J. in Schaffhausen in der Rüdenzunft zum Meister ernannt wird und Anna Seiler heiratet, errichtet die Gemeinde Jestetten – bauinschriftlich bezeugt – ein Gemeindehaus, in welchem 1546 die Gemeindestube eingerichtet wird. Fortan finden hier die Gemeindeversammlungen statt. Ob die Gemeindestube wie in manch anderer Klettgauer Gemeinde zur ersten kulinarischen Adresse im Dorf wird, ist allerdings fraglich, da das Kloster Rheinau keine ernsthafte Konkurrenz für seine Taverne, damals der „Löwen“ (später der „Salmen“), wünscht.
Am 19. November 1550 lässt der Schaffhauser Rat „dena von Jestetten“ eine von Felix Lindtmayer d. J. angefertigte Fenster- und Wappengabe zukommen. Es ist von einem nicht dokumentierten Brand im westlichen Teil des Gemeindehauses auszugehen. Insgesamt gelangen bis 1552 fünf Glasscheiben aus Schaffhausen nach Jestetten, von denen drei als verschollen gelten. „Von den fünf Glasgemälden aus der Gemeinde- und Trinkstube von Jestetten stammen die beiden heute noch erhaltenen sowie die Schaffhauser sicher von Felix Lindtmayer dem Jüngeren. Obwohl die beiden anderen, die Rheinauer Stadtscheibe und die Scheibe mit der Darstellung einer Tischgesellschaft, Friedrich Thöne eher an Arbeiten Hieronymus Langs des Älteren als an solche Lindtmayers erinnern, können durchaus auch sie bei Letzterem in Auftrag gegeben worden sein. Da Linthmayer zuweilen nach Rissen Langs arbeitete, ist es nämlich denkbar, dass er sie nach Vorlagen seines Schaffhauser Berufskollegen ausführte“, gibt Rolf Hasler in seinem 2010 erschienenen Standardwerk „Die Schaffhauser Glasmalerei des 16. bis 18. Jahrhunderts“ den aktuellen Forschungsstand bekannt.
Nimmt man dies als gegeben an, würde es sich wohl erklären, weshalb Lindtmayer 1552 die fünfte Scheibe mit seinem nicht näher bekannten Künstlerkollegen Galle Jeger selbst stiftete. Vielleicht hat er sogar als Flachmaler nach dem Brand – von einem solchen gehen wir aus – gleich auch noch Malerarbeiten ausführen dürfen. Und ein grösserer Brand würde auch plausibilisieren, weshalb die andere noch vorhandene Glasscheibe von zwei Handwerkern, dem Zimmermann Hans Wegerich und Tischmacher Willibald Hüwruck, gespendet worden ist.
Deshalb ist es auch wahrscheinlich, dass die fünf Glasscheiben von Anfang an und bis 1906 im heute so bezeichneten Alten Schul- und Gemeindehaus gehangen haben, während beispielsweise der Lokalhistoriker Georg Jäger die Grafenstube der Grafen von Sulz in der Kirche in die Diskussion eingebracht hat.
Fest steht jedenfalls, dass die Glasscheiben, zumindest die beiden noch erhaltenen, 1803 bei einem neuerlichen Brand des Gemeindeshauskomplexes arg in Mitleidenschaft gezogen werden. 1906 verkauft die Gemeinde Jestetten die fünf Kunstwerke an einer öffentlichen Versteigerung, um sich Geld für das neue Schul- und Gemeindehaus – ein 1910 eingeweihtes „Bildungsschloss“ – zu beschaffen, allerdings bringen sie nur 2500 Mark von einem Kunsthändler, der sie in die Schweiz weiterverkauft.
Die fünf Lindtmayer-Werke kommen nach Luzern zum Auktionshaus Böhler und Steinmeyer. Zumindest die beiden fraglichen Bilder befinden sich 1910 im Besitz von Johann Kaspar Bossard (1849-1935), dem letzten Vertreter der berühmten Bossard-Goldschmiede-Dynastie. Vielleicht sind die zuvor nur notdürftig instandgestellten Glasscheiben von ihm oder im Auftrag von ihm mustergültig restauriert worden.
In diesem Jahr 1910 werden vermutlich beide Scheiben von der Münchner Kunsthandlung Hugo Helbing übernommen; gesichert ist dies momentan aber nur für das „Narrenbild“ der Stiftung, auf dem sich Felix Lindtmayer selbst – mit Holzbein – darstellt. Die Verletzung, die zu seinem Holzbein führte, hat er sich wohl in Fremden Kriegsdiensten geholt, die Narrenszene um das nackte Fischweib herum wird als Selbstironie Lindtmayers gedeutet, weil seine Ehe zerrüttet ist, und dies obwohl gerade 1552 sein Sohn Daniel auf die Welt kommt.
Das Narrenbild gelangt um 1926 in den Besitz des Schaffhausers Max Brunner-Frey, Gründer der Coffex und Präsident des FC Schaffhausen, 1935 gehört es Arnold Bloch-Frey, Neuhausen/Gingins, Alusuisse-Direktor und Vorstandsmitglied des Museumsvereins. Um 1950 wird es von Bernhard Alexander Peyer, u.a. Ehrenmitglied des Museumsvereins, erworben und von diesem 1997 als Legat der Peyer’schen Tobias Stimmer Stiftung geschenkt.
Vom Jestetter Bild mit einer bäuerlichen Szene im Hintergrund weiss man, dass es zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vom Neuhauser Architekt und Sammler Arthur Moser erstanden wird. 1957 gelangt das Glasbild durch Erbschaft an Maria und Karl Lutz-Moser, welche sich bei der Gemeinde Jestetten erkundigen, ob diese Interesse am Erwerb des Kunstwerks habe. Nach dem Tod ihres Mannes macht Maria Lutz die Lindtmayer-Scheibe der Gemeinde Jestetten zum Geschenk, als sie von der geplanten Renovation des alten Schul- und Gemeindehauses hört. Hier erhält es 2009 einen Ehrenplatz beim Eingang zur gotischen Stube von 1544.
Andreas Schiendorfer, 7. November 2022